Impulsvortrag von Prof. Dr. Hanna Hacker: »Partizipative und transformative Wissensproduktion«

Prof. Dr. Hanna Hacker wurde durch Franziska Rauchut begrüßt und als  “Queerexpertin, eigentlich als die Sabine Hark Österreichs” vorgestellt: Sie sei “queerfeministische Soziologin und Historikerin mit Arbeitsschwerpunkt auf und in Cultural Studies, Postcolonial Studies sowie feministischer und queerer Perspektive”. Ihr Lebenslauf sei dabei nicht nur von der Wissenschaft geprägt, sondern auch von aktivistischem Engagement. Zudem verwies Franziska Rauchucht auf zwei ihrer Werke: Frauen und Freundinnen – Studien zur weiblichen Homosexualität am Beispiel Österreich 1870 bis 1938. Dies sei “die erste wissenschaftliche Studie zu lesbischen Frauen im deutschsprachigen Raum überhaupt” gewesen, als es 1987 erschien und sei nun gerade 2015 neu aufgelegt worden, mit Kommentaren der Autorin aus heutiger Perspektive auf das Thema. Als zweites Buch stellte Franziska Rauchut das Buch Queer entwickeln – Feministische und Postkoloniale Analysen von 2012 vor: Darin werde aufgezeigt, wie durch Queertheory in der Entwicklungszusammenarbeit Machtstrukturen und Imperialismus beleuchtet werden können. 

Franziska Rauchut stellt Prof. Dr. Hanna Hacker vor.

Franziska Rauchut stellt Prof. Dr. Hanna Hacker vor.

Prof. Dr. Hanna Hacker begann ihren Vortrag mit der Feststellung, dass sie es als paradox empfinde, über partizipatives Wissen frontal zu referieren. Gerade “die Überschneidungsbereiche von Akademie und Aktivismus, von Theorie und Praxis” würden sie selbst immer wieder beschäftigen, weshalb sie nun das Paradox folgendermaßen gelöst habe: Der Vortrag sei bewusst ohne Powerpoint gestaltet, denn sie wolle “mit [ihrer] körperlichen Präsenz dafür einstehen” Referierende zu sein. Zudem werde sie “eher Fragmente präsentieren, nicht eine geschlossene Argumentation”, und dadurch Raum für Diskussionen bieten.
Sie gliederte ihren Vortrag in drei Schwerpunkte. Erstens wolle sie auf die Leitfrage eingehen: “Wohin bewegt sich queerfeministische Theoriebildung?”, zweitens werde sie sich dem partizipativen Forschen zuwenden und drittens dann dem institutionellen Zusammenhang, “also die Universität als das Gehäuse, dass uns auch hier umgibt”. 

Wohin bewegen sich feministische Theoriebildungen und feministische Politiken?

Hanna Hacker war der Meinung, dass die meisten “Differenzmarkierungen weitgehend implodiert oder kollabiert” seien: “Ein Paradigmenwechsel in Richtung Transfeminismus und Post-Gender” sei das Resultat. Dies betreffe sowohl die Subjekte politischen Handelns, als auch die Themen und Konzepte der Forschung oder institutionelle Strukturen.
Sie sprach zudem von einer zweiten Bewegung, die sich abzeichne: Es finde eine “Umwälzung von Normativität mit visability politics” statt, die im Stande sei “scheinbare Grundfesten von körperlichen und psychischen Ordnungen und Hierarchien umzuwerfen”.
Drittens beobachte sie “die Fusion von Queerfeminismen mit postkolonialer und antirassistischer Politik und Analyse”. Allerdings gebe es hier auch Themen, die aufgezwungen würden, durch eine gewisse “Notwendigkeit sich mit politischen Themen zu befassen”. Rechtpopulismus, Rechtsextremismus und Anti-Genderismus seien solche Beispiele.
– Insgesamt begleite sie schon immer die Frage danach, wo Wissenschaft und politischer Aktivismus ineinander greifen würden. Sie erläuterte hierzu: 

“Ich finde es wichtig, darauf zu achten, in wie starkem Ausmaß innovative Impulse hinsichtlich Transfeminismus, Whiteness Kritik, Antirassimus und so weiter, an die Akademia herangebracht werden, die teilweise personell aufsfeministisch aufgeschlossenen Akteurinnen besteht, die aber unausweichlich stark dem Neoliberalismus der Universitäten unterliegen.” 

Zudem wies sie darauf hin, dass es durchaus anmaßend sei, für sich in Anspruch zu nehmen, genau zu wissen wohin sich Aktivismus und Akademia bewegten. 

“Ich weiß von Entwicklungen, von Debatten, von Kontroversen, von neuen Reglements, auch ganz banal von neuen Publikationen mittlerweile in erster Linie aus den sozialen Medien. Und sobald ich der Nutzung Pause mache, weiß ich von nichts mehr.”

Die Perspektive partizipativer & transformativer Methoden

Prof. Dr. Hanna Hacker erklärte die Beschäftigung mit partizipativen und transformativen Methoden, sei für sie die “logische Begleiterscheinung einer feministischen Biographie, der einer Sozialwissenschaftlerin, welche eine starke Prägung in den 70ern erfahren” habe. – Maria Mies Text Methodische Postulate zur Frauenforschung (1978) habe bis heute für Hanna Hacker “eine spürbare, emotionale, gestalterische Kraft”: Darin werde gegen den Positivismus und den  androzentrischen Bias in den Sozialwissenschaften argumentiert. Der Ausgangspunkt dieser Argumentationen: “Zu Erkennen vermögen wir nur das, was wir verändern.” Die Forderung nach Veränderung ist darin offenbar. Das Resultat sei, laut Hanna Hacker, “die heroisch gezeichnete Figur der Intellektuellen, die für und mit ihren privilegierten Schwestern kämpft und dank ihres Wissens Verhältnisse umstürzt, die gemeinsame Freiheit erringt und so weiter.”

Als Nächstes stellte Hanna Hacker einen anderen Zugang zu partizipativem Wissen vor, der eher ethnographisch sei und sich nicht nur mit dem partizipativen Forschen sondern auch Planen auseinandersetze. Ihr seien diese Tools, im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit, begegnet. Die Frage sei hier: 

“Wie kommuniziere ich, als weiße, westliche, privilegierte Außenstehende, mit meiner sogenannten Zielgruppe, die nicht weiß, westlich und privilegiert ist, von der ich etwas erfahren, in deren Interesse ich ein Projekt machen möchte?” 

Seit den 1970er Jahren hätten sich die Methoden in diesem Bereich kaum geändert und deshalb führten sie auch nicht zu einer Aufhebung struktureller Ungleichheiten. Dennoch wisse sie, Hanna Hacker, von Momenten, in denen “ein Zusammenhang plötzlich vom Kollektiv begriffen” werde und “Widerstand” aufblitze.
Auch mit queeren Forschungsmethoden beschäftige sich die Literatur in diesem Kontext. 

“Ein queerer Ansatz in den Sozial- und Geisteswissenschaften ist in besonderer Weise geeignet die Problematisierung von Subjektformationen auch ins Methodische zu übersetzen und die vorgebliche Stabilität des Subjekts, das heißt, des Forschenden oder Erforschten zu demontieren.”

Sie befürstimmte queere Methoden in allen Ansätzen und sprach sich auch für eine Destabilisierung des Methodischen aus. Insgesamt aber sprach Hanna Hacker davon, dass die Frage nach queeren Forschungsmethoden erst am Anfang stehe und danach verlangen würde mit mehr Elan diskutiert zu werden.
Die in der Charter of Decolonial Research Ethics (2013) formulierten Ansprüche ähnelten den Ansätzen von Maria Mies. Hier schließe sich der Kreis und die Forderung danach, dass “Forschen immer unmittelbar an Bewegungen anschließen” müsse. Entsprechend sollten “Dekoloniale Bewegungen in allen Stadien des Forschens gleichsam das erste und das letzte Wort” haben.
Hanna Hacker fasste diesen Teil ihres Vortrags zusammen, indem sie auf einen Widerspruch hinwies, den sie selbst nicht zu lösen vermöge: Wenn sie die Forderung, sich immer auf Bewegungen beziehen zu müssen, auf trans- und queerfeministische Kontexte anwenden wolle, wisse sie nicht mehr genau, so sie sich selbst verorten könne. Oft formuliere sie Forderungen einfach selbst und das “geht wohl nicht mehr als partizipativ durch”, stellte sie fest. 

“Ich formuliere selbst, weil ich nicht genau weiß, wo mich die Artikulationen erreichen können. – Das erweist auch, das Gegenöffentlichkeiten schwächer sind oder jedenfalls mir weniger zugänglich, als ich es mir wünschen würde.”

 

Wohin interventieren, wohin partizpieren?

“Feministische Ansätze zu Identität, zu akademischen Institutionen und ihrer Wissensproduktion arbeiten sehr oft mit Metaphern von Raum und Raumverschaffungen”, stellte Hanna Hacker direkt zu Beginn des dritten Teils ihres Vortrages fest, welcher sich mit der Frage nach der Institution Universität beschäftigte.
Sie sprach unter anderem von dem Konzept der Vorder-, Hinter- und Unterbühne von Sabine Hark, aber auch von der Metapher der Brick Wall, “als Bild für das trickreiche und dabei steinharte Beharrungsvermögen von universitären Rassismus, Sexismus und anderen -ismen, die als Mauern erst spürbar und sichtbar werden, wenn Menschen versuchen, dagegen anzugehen”. – Diese beiden Arten von Raum würden zeitgleich, widersprüchlich nebeneinander stehen.
Auch sie selbst, sagte Hanna Hacker, habe mit diesen Metaphern der Parallel-Räume gearbeitet, wenn sie “das Nebeneinander unverändert scheinender Politiken innerhalb der Institution Universität gegenüber Frauen, Lesben, Feministen, Queerentwürfen zu beschreiben versucht” habe. 

Wenn sie die Geschichte von Frauen, die so in dieser Institution nicht vorgesehen waren, verfolge, tauche für die immer ein bestimmtes Narrativ auf: “Von Pionierinnen, von Aufstieg, von Institutionalisierungen, von Mainstreaming von Diversity”. Dahinter verberge sich eine “verdrängte Geschichte von Schmerz und von Verrücktheit”. – Hierzu zitierte Hanna Hacker die erste außerordentliche Professorin der Universität Wien Elise Richter, welche über ihre Jugend in den 1880er schrieb: “Ich malte mir einen Schnurrbart an und hoffte auf das Nicht-zu-Hoffende.”
Auf was hat Elise Richter gehofft? Auf rechtliche Veränderungen? Oder die Hoffnung darauf sich als Mann zeigen zu dürfen? Für Hanna Hacker offenbarte sich in diesem Zitat zumindest die “Sehnsucht nach Bildung, [die] Passion nach Wissen, das Verlangen nach Aufstieg, auch nach akademischer Anerkennung”. Universitäres Wissen sei immer hierarchisierend gewesen, allerdings sei letztendlich die Suche nach Respekt ohne Institutionen aussichtslos.
Elise Richter war, zu dieser Zeit gar nicht untypisch, “ihr Leben lang von Krankheit markiert”: Ihre Biographie zeige eindrücklich 

“das buchstäblich antagonistische Verhältnis zwischen dem verkörperten Begehren einer Frau, die im universitären Wissenschaftsbetrieb um 1900 Fuß fassen möchte und der Härte des Widerstandes der Institution Uni gegen diese Begehren schon auf der ganz basalen, materiellen Ebene von Erreichbarkeit.”  

Hanna Hacker wies darauf hin, dass es neben Elise Richters Geschichte noch viele weitere “Geschichten von Schmerz und Verrücktheit” gebe, die frühe Wissenschaftlerinnen begleiteten. 1938 richtete Virginia Woolf sich gegen die Herrschaft der Männer, “die ihrer Meinung nach zu Krieg und Faschismus geführt habe”: Sie rief dazu auf die Universitäten in Brand zu stecken. In ihrer Vorstellung gab es “lodernde Flammen, […] angeheizt von Akteurinnen, die patriarchales Erbe zunichte machen sollen”. Dies seien wiederkehrende Metaphern in den Auseinandersetzungen um emanzipatorische Bildungspolitik. 

Was macht Hoffnung?

Auch Hanna Hacker äußerte ihre Skepsis in Bezug auf den Womens March. Vielversprechender sehe sie die Bewegung #RhodesMustFall an der Universität in Kapstadt: Gegen die kolonialistische Cecil Rhodes Statue “artikulierte sich [dort 2015] eine von Studentinnen getragene Rebellion, die verschiedene Ebenen globale und lokaler Ungleichheiten” thematisierte. Auch Arbeitskämpfe außerhalb der Unis seien dabei aufgegriffen worden. Hier verbänden sich dekoloniale Bewegungen mit queerfeministischen Kämpfen, “zumindest temporär [entstehe] auf diese Weise vielleicht ein Bündnis, das den Ethics of Decolonial Research gerecht zu werden vermag” und queerfeministische Forschungspostulate miteinbeziehe.

In der anschließenden Diskussion, welche zugleich die Abschlussdiskussion des Workshops war, wurde über folgende Themen gesprochen:

  • Methodologien der queerfeministischen Forschung

  • Charter of Decolonial Research Ethics

  • Dekolonialität in Europa, Enteignung von Themen

  • Partizipation in der Kunst

  • Enteignungen von Forschungen (Stellvertreterpolitik)

  • Prekaritäts-Begriff von Judith Butler: Alle leben in bestimmten Aspekten in prekären Verhältnissen

  • Traditionslinien des Widerstandes gegen Wissenschaft als hegemoniales und unterdrückerischer Herrschaftinstrument (Maria Mies)

  • Aushebung der ethnographischen Grundannahmen bei der Queer Forschung

  • Probleme der Förderung bei ethnographischen Forschungsansätzen

  • Alternativen zu klassischen Institutionalisierungen

  • Produktivitäts- und Leistungsnormen in der Forschung (Autoethnographie)

  • Was passiert mit Wissen, wenn es in der Universität ankommen? – Profite nur auf Seiten der Institutionen

  • Fehlen von Intellektuellen in öffentlichem Raum und Hoffnungen auf Änderungen

  • Medienumgang mit Intellektuellen

  • Wie kann wissenschaftliche, politische Einmischung gelingen? – Blogs z.B.

  • Frage nach Netzwerken, gegenseitigen Kommentierungen ect.

  • Wie kann Wissen in Aktivismus eingespeist werden?

  • Universitäten dürfen als Orte des Aktivismus nicht aufgegeben werden