Workshop des DFG-Netzwerkes Kommunikationswissenschaftliche Erinnerungsforschung zum Thema „Journalismus und soziales Gedächtnis“ in Tübingen

Vom 11. bis 13. Juli 2018 fand an der Eberhard Karls Universität Tübingen ein Treffen des DFG-Netzwerkes Kommunikationswissenschaftliche Erinnerungsforschung in Kooperation mit dem Forschungsteam Doing Memory – Tanja Thomas und Steffen Rudolph vom Institut für Medienwissenschaft – statt. Den maßgeblichen Schwerpunkt des Workshop-Treffens bildete die Auseinandersetzung mit Journalismus und sozialem Gedächtnis. Eingeladen waren hierzu als Gäste die beiden Keynote-Speaker*innen und international renommierten Vertreter*innen der Memory Studies Jeffrey K. Olick (University of Virginia) und Keren Tenenboim-Weinblatt (Hebrew University of Jerusalem).

Eröffnet wurde der Workshop durch einen Vortrag von Jeffrey K. Olick zu den Protesten Rechtsextremer in Charlottesville, die sich um die geplante Entfernung einer Statue von Robert E. Lee, eines maßgeblichen Generals der Konförderierten Staaten im US-amerikanischen Sezessionskrieg und ausgewiesenen Anhänger der Sklaverei, entzündet hatten und mit dem Tod einer Gegendemonstrantin sowie mehreren Verletzten endeten. Nicht zuletzt der Umstand, dass Olick an der in Charlottesville gelegenen University of Virginia lehrt, verlieh seinem Vortrag eindrucksvolle Präsenz und ließ die verwickelte Geschichte der unterschiedlichen Denkmäler und Erinnerungsorte in Charlottesville sowie die daran anschließenden medial geführten Diskussionen um den Umgang mit dieser Geschichte evident werden.

Jeffrey K. Olick

Keren Tenenboim-Weinblatt fokussierte in ihrem Vortrag vor allem die zeitliche Dimension von Erinnerung anhand der unterschiedlichen Bezugnahmen journalistischer Texte auf Vergangenheit. Im Mittelpunkt stand allerdings weniger die Frage nach der Konstruktion der Vergangenheit, sondern vielmehr die nach ihrer Indienstnahme für Projektionen der Zukunft. Als aufschlussreiche Beispiele diskutierte sie hierbei etwa die zahlreichen Prognosen bezüglich des Brexit-Referendums sowie der letzten US-Präsidentschaftswahl. Unterschiedlichste Medien argumentierten im Vorfeld beider Wahlen mit Bezugnahmen auf vergangene Ereignisse – mithin also unter Rekurs auf das kollektive Gedächtnis – und imaginierten eine korrespondierende Zukunft, deren Realisation jedoch enttäuscht wurde. Denn entgegen aller extrapolierten Wahrscheinlichkeit und projizierter Zukunft konnten sowohl Donald Trump als auch die Befürworter*innen des Brexit einen Wahlsieg erlangen.

Keren Tenenboim-Weinblatt

Die erste der drei Workshop-Sessions beschäftigte sich unter dem Titel „Citizens’ Journalism and Conflictual Remembering: The Case of Right-Wing Violence“ theoretisch wie empirisch orientiert mit der Erinnerung an rechte Gewalt nach 1945 in Deutschland. Birgül Demirtaş und Fabian Virchow (beide Hochschule Düsseldorf) sowie Steffen Rudolph und Tanja Thomas (beide Institut für Medienwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen) präsentierten detailreich anhand zweier Case Studies – Solingen und Mölln – Konflikte um und Verhandlungen der Erinnerung an die rassistischen Brandanschläge sowohl jeweils vor Ort in Solingen resp. Mölln als auch in medialen Texten.

Unter dem Titel „Journalists as Memory Agents: Research Strands – Questions – Challenges“ gaben im Anschluss daran Anke Offerhaus (Universität Bremen), Judith Lohner (Universität Bochum) und Dimitri Prandner (Johannes Kepler Universität Linz) einen profunden Überblick über die aktuelle Forschung an der Schnittstelle von Journalismus und Memory Studies.

Judith Lohner (Universität Bochum) und Kaya de Wolff (Eberhard Karls Universität Tübingen) stellten in einer dritten Workshop-Session ihre umfassende Zusammenschau zu Forschungen mit Bezug zu „Transnational Memory Cultures and Journalism“ zur Diskussion, bevor ein Roundtable-Gespräch den Workshop beendete.

Teilnehmer*innen des Workshops

Organisiert wurde der Workshop von den Mitgliedern der AG Journalismus und soziales Gedächtnis des DFG-Netzwerkes Kommunikationswissenschaftliche Erinnerungsforschung Kaya de Wolff (Eberhard Karls Universität Tübingen), Judith Lohner (Universität Bochum), Anke Offerhaus (Universität Bremen), Dimitri Prandner (Johannes Kepler Universität Linz), Christine Lohmeier (Universität Bremen) und Christian Pentzold (Universität Bremen) in Kooperation mit Tanja Thomas (Eberhard Karls Universität Tübingen) und Steffen Rudolph (Eberhard Karls Universität Tübingen).

Das Workshop-Programm kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Die VW Stiftung fördert das Projekt »Doing Memory« als Perspektive für eine plurale Gesellschaft (2018-2020)

Tanja Thomas, Matthias Lorenz (Universität Bern) und Fabian Virchow (HS Düsseldorf) freuen sich auf die Zusammenarbeit in dem Projekt: "Doing Memory" als Perspektive für eine plurale Gesellschaft.  Eine prismatische Betrachtung politischer, medialer und künstlerischer Verhandlungen von rassistischer Gewalt in Rostock-Lichtenhagen: 

2016 war in der Bundesrepublik ein Allzeithoch rechtsextremer Straftaten zu verzeichnen – und dies macht deutlich, dass rechte Gewalt eine gegenwärtig brisante Herausforderung für gesellschaftlichen Zusammenhalt im Einwanderungsland Deutschland darstellt. Das Projekt »›Doing Memory‹ als Perspektive für eine plurale Gesellschaft« fragt, wie anerkennende wie auch verkennende Praktiken der Erinnerung an schwere rassistische Gewalttaten in Deutschland nach 1945 ausgehandelt wurden und werden. Es nimmt dabei eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Perspektive ein: Das Projekt rekonstruiert die Vor- und Nachgeschichte rassistischer Gewalt am Beispiel der Angriffe auf das ›Sonnenblumenhaus‹ in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 und diskutiert, wie Erinnerungspraxen in den vergangenen 25 Jahren mit der Anerkennung von Leid, aber auch mit Formen des Verdrängens, Ignorierens und Leugnens gegenüber rechter Gewalt und ihren Opfern in Deutschland einhergegangen ist und einhergeht. Anhand medialer, ästhetischer und politischer Erinnerungspraxen wird eine prismatisch angelegte Betrachtung erarbeitet. Das Projekt versteht sich dabei selbst als ein »Erinnerungsrahmen« (Halbwachs) für eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit pogromartigen Angriffen auf Flüchtende und deren Unterkünfte, die in der Bundesrepublik seit 2015 erneut eine Konjunktur erfahren.

Webdoku "Doing Memory" ab 16. April 2018 online unter www.doing-memory.de

Im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts im Wintersemester 2017/2018 entwickeln Masterstudierende der Medienwissenschaft von der Universität Tübingen eine Webdokumentation unter dem Titel „Doing Memory”. Fünf verschiedene Beiträge setzen sich in dem Projekt mit Diskriminierung und Empowerment im Kontext rechter Gewalt und Rassismus in Deutschland seit den 1990er Jahren auseinander.

Das Nonprofit-Projekt möchte eine multiperspektivische Sicht auf verschiedene Erinnerungspraktiken eröffnen und dabei auch Zuschauer*innen ohne thematische Vorkenntnisse interessante Denkimpulse bieten. Hierbei wird eine aktualisierte Analyse von Rassismus in unserer gegenwärtigen Gesellschaft angestrebt und versucht Perspektiven für ein Zusammenleben in einer „postmigrantischen Gesellschaft” aufzuzeigen.

Die Webdoku „Doing Memory” wird ab dem 16. April 2018 unter der Webadresse www.doing-memory.de für ein Jahr abrufbar sein.

Die interaktive Informationsplattform vereint verschiedene dokumentarische Erzählformen des Journalismus, darunter Video-, Foto-, Text- und Audiobeiträge. In Beiträgen zu Theateraufführungen zum NSU, einer Auseinandersetzung mit Stimmen zu den NSU-Morden sowie Fatih Akins Film „Aus dem Nichts” und zwei Brandanschlägen in Mölln und Stuttgart, arbeitet die Webdoku Zusammenhänge von Erinnerungen an rechte Gewalt auf.

Bei einer Abendveranstaltung am Montag, 16. April 2018, wird die Webdoku „Doing Memory“ im Café Haag (Vor dem Haagtor 1, 72070 Tübingen) der Öffentlichkeit präsentiert. Um 17.30 Uhr findet ein kleiner Sektempfang statt. Beginn der Veranstaltung ist um 18 Uhr.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, an der Veranstaltung teilzunehmen und sich an den Diskussionen zu beteiligen! Gerne können Sie sich vorab unter doingmemorytuebingen@gmail.com anmelden.

Weitere Informationen zur Webdoku und der Präsentationsveranstaltung finden Sie außerdem unter unserer Facebook-Seite www.facebook.com/doingmemory. Wir laden Sie dazu ein “Doing Memory” zu liken und auf Facebook zu teilen.

Doing Memory und rechte Gewalt in medialen Öffentlichkeiten

Laufzeit des Projekts: 01.10.2017 bis 31.09.2019

Der Projektzusammenhang schlägt vor, eine Sicht auf »Doing Memory« an rechte Gewalt einzunehmen, die Erinnern und Vergessen programmatisch zusammendenkt. Rechte Gewalt stellt eine gegenwärtig brisante Herausforderung im Einwanderungsland Deutschland dar, denn sie ruft nicht nur individuelle Traumata hervor, sondern erschüttert den in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschenden Konsens über gesellschaftlichen Zusammenhalt als Grundlage für ein demokratisches Zusammenleben: Als Botschaftsverbrechen richtet sich rechte Gewalt regelmäßig über das konkret angegriffene Opfer hinaus auf die Einschüchterung oder gar Vertreibung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Sie ruft somit Konflikte hervor, die gesellschaftlicher Auseinandersetzung bedürfen. Vielfach geschieht dies durch teilweise auch kontrovers diskutierte Praktiken der Erinnerung, die im Projekt zum Untersuchungsgegenstand werden. Die hier zugrunde liegende Konzeptualisierung von »Doing Memory« betont dabei die Konstruktionsleistung von Erinnern und Vergessen, das durch gesellschaftliche Strukturen und Diskurse gerahmt und ermöglicht wird. Erinnern und Vergessen wird somit als kulturelle Praxis konzeptualisiert, die bestimmt, wie an was und wen in welchen sozialen Settings erinnert wird, wer zum Sprechen über die Erinnerung bemächtigt wird, wer unter welchen Bedingungen sichtbar gemacht wird, und nach welchen Regeln dies geschieht und anerkannt wird.

Im Projektzusammenhang in Kooperation mit Prof. Dr. Fabian Virchow (HS Düsseldorf), Prof. Dr. Gabriele Fischer (HS Esslingen) und Prof. Dr. Matthias Lorenz (Universität Bern) haben bislang verschiedene Workshops stattgefunden.

Das Projekt wird gefördert im Rahmen des Zukunftskonzepts der Universität Tübingen (Deutsche Forschungsgemeinschaft ZUK 63)

Bei Interesse an einem Austausch freuen wir uns über eine Nachricht an tanja.thomas@uni-tuebingen.de oder steffen.rudolph@uni-tuebingen.de

 

Workshop „Doing Memory and Right-wing Violence in Mediated Public Spheres“

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Vom 15.10. bis 16.10.2017 fand an der Eberhard Karls Universität Tübingen im Rahmen des Explorationsprojekts „Rechte Gewalt und Erinnerungsarbeit in Deutschland“ ein Workshop unter dem Titel „Doing Memory and Right-wing Violence in Mediated Public Spheres“ statt. Im Zentrum des Workshops stand die Auseinandersetzung mit rechter Gewalt seit 1945 und ihrer Einschreibung in Erinnerungskulturen. Hierbei lag der Fokus nicht nur auf jenen Ereignissen, die wie die Mordserie und Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) breite mediale Aufmerksamkeit erlangt haben. Explizit thematisiert wurde auch die Frage nach der Erinnerung an die zahlreichen Opfer rechter Gewalt, die vom Vergessen bedroht, häufig nur noch von kleinen Gruppen oder im familiären Kontext erinnert werden. Die verschiedenen Vorträge widmeten sich dem „Doing Memory“ von Akten rechter Gewalt in medialen Öffentlichkeiten, in Spielfilmen, Dokumentationen, Videokunst und in der Literatur.

Organisiert wurde der Workshop vor Ort durch Tanja Thomas in Kooperation mit Gabriele Fischer (Hochschule Esslingen), Matthias N. Lorenz (Universität Bern) und Fabian Virchow (Hochschule Düsseldorf).
Zu den Teilnehmer_innen des Workshops zählten neben den Organisator_innen und Kooperationspartner_innen Anna Brod (PH Freiburg), Dagmar Brunow (Linnaeus University Växjö), Courtney E. Cole (Ohio University), Maja Figge (Kunstuniversität Linz), Oonagh Hayes (Gesis – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Köln), Tino Heim (TU Dresden), Sarah Kleinmann (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde), Matthias N. Lorenz (Universität Bern), Barbara Manthe, Anja Michaelsen (Ruhr-Universität Bochum), Steffen Rudolph (Universität Tübingen) und Julia Stegmann (Berlin).

Das Workshop-Programm kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Einen weiteren Tagungsbericht aus dem Foren-Forum, Jahrgang 04 / Ausgabe 02 / Dezember 2017 finden Sie hier.