Gemeinsam geben Tanja Thomas, Lina Brink, Elke Grittmann und Kaya de Wolff den Sammelband „Anerkennung und Sichtbarkeit. Perspektiven für eine kritische Medienkulturforschung“ heraus. Die Idee des Sammelbands ist aus der Vorlesungsreihe „Anerkennung und Sichtbarkeit in Medienkulturen“ hervorgegangen, die Prof. Dr. Tanja Thomas gemeinsam mit den Mitgliedern der Nachwuchsforscherinnengruppe „Transkulturelle Öffentlichkeiten und Solidarisierung in gegenwärtigen Medienkulturen“ (Lina Brink, Helena Körner und Kaya de Wolff) im Sommersemester 2016 am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen realisiert hat. Das Buch erscheint im Herbst-Programm des transcript Verlags in der Reihe Critical Studies in Media and Communication.
Zum Inhalt
Sichtbarkeit und Anerkennung sind in jüngster Vergangenheit auch im deutschsprachigen Raum zu Schlüsselbegriffen in Analysen politischer Auseinandersetzungen, sozialer Bewegungen und der Aushandlung von Zugängen zu ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ressourcen avanciert. Dabei werden die Begriffe beispielsweise in Debatten um marginalisierte Gruppen und soziale (Un)Gerechtigkeit häufig in einen kausalen Zusammenhang gebracht, das heißt, Sichtbarkeit im Sinne visueller Repräsentiertheit wird mit politischer Macht gleich gesetzt.
Die Publikation „Sichtbarkeit und Anerkennung. Perspektiven für eine kritische Medienkulturforschung“ will ein solches Verständnis der Begriffe problematisieren und zeigen, wie eine repräsentationskritische Beschäftigung mit Sichtbarkeiten und ein gesellschaftstheoretisch fundiertes Verständnis von Anerkennung für eine kritische Medienkulturforschung produktiv gemacht werden können. Somit werden u.a. das Spannungsverhältnis von Selbstverwirklichung und fixierender Identifizierung in Anerkennungsverhältnissen und gesellschaftliche Normen der Sichtbarmachung zum Gegenstand der Beiträge des Bandes.
Dabei knüpfen die Überlegungen auch an die Auseinandersetzungen um Anerkennung seit den 1990er Jahren an; diese wurden vor allem im gesellschaftlichen Kontext von Migration und Globalisierung und im Zuge der so genannten „Multikulturalismus-Debatte“ geführt (vgl. dazu zentral Taylor 1992) und im Kontext gesellschaftskritischer Auseinandersetzung mit Fragen der Umverteilung insbesondere in der feministischen Theorie weiter entwickelt (vgl. dazu Fraser 1998, Butler 2005).
Im Zuge dieser intensivierten theoretischen Beschäftigung mit ‚Anerkennung’ und ‚Sichtbarkeit‘ sind unterdessen Konzeptionalisierungen vorgeschlagen worden, die zahlreiche Anknüpfungspunkte für Analysen von Repräsentationen und Praktiken in Medienkulturen bieten. Sie lenken den Blick auf Fragen nach Anerkennung und Umverteilung (Fraser/Honneth 2003), die Verbindung zwischen Sichtbarkeit und Anerkennung (Wenk 1996) sowie die Untersuchung von Bedingungen und gesellschaftlichen Normen der Sichtbarkeit und Anerkennung (Schaffer 2008). Diese Konzeptualisierungen werden in dem geplanten Sammelband einerseits theoretisch diskutiert und andererseits für empirische Studien genutzt. Die Beiträge vereint, dass sie eine wachsende Sichtbarkeit und Öffentlichkeit für eine marginalisierte Gruppe keineswegs unmittelbar mit einem emanzipatorischen Potential im Sinne von stärkerer Handlungsfähigkeit oder gar einer Erhöhung des Zugangs zu Ressourcen und deren Kontrolle sowie der Entscheidungs- und Handlungskompetenz in Verbindung bringen.
Eine Integration dieser Überlegungen in Medien-, kultur- und kommunikationswissenschaftliche Studien, wie sie der Sammelband vorschlägt, bietet neue Erkenntnisse, indem hier Fragen nach der medialen Herstellung von Exklusion, beziehungsweise Inklusion und Anerkennung, im Mittelpunkt stehen. Insbesondere im Hinblick auf Aushandlungsprozesse entlang verschiedener gesellschaftlicher Strukturkategorien und deren Verschränkung und Interdependenz werden im Anschluss an Debatten der Intersektionalitätstheorie und -forschung differenzierte Sichtweisen auf Sichtbarkeiten und die Aushandlung von Anerkennbarkeit in Medienkulturen eingefordert.
Die Beiträge des Bandes eröffnen Perspektiven hinsichtlich der Frage, wie aus einer solchen Auseinandersetzung Schlüsse für eine theoretisch informierte, gesellschaftskritische Praxis des Zu-Sehen-Gebens und Anerkennens beispielsweise in Fernsehen, Film und journalistischer Berichterstattung sowie digitalen Öffentlichkeiten gezogen werden können. Neben einer Bandbreite an unterschiedlichen Medien werden u.a. aus gerechtigkeitstheoretischer, postkolonialer und queer-feministischer Perspektive eine Vielzahl interdisziplinärer Zugänge aufgezeigt. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Sammelbandes spiegelt sich auch in der Auswahl der Autor*innen wider, da er einige der renommiertesten Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Forschungsfeldern des deutschsprachigen Raumes versammelt, die zu den Themen Anerkennung und Sichtbarkeit arbeiten.
Der Sammelband verfolgt eine Problematisierung von Sichtbarkeit und Anerkennung mit Blick auf unterschiedliche mediale Angebote und Formen des Medienhandelns. Gleichzeitig wird in den Beiträgen die Verhandlung der Begriffe in einer Bandbreite verschiedener interdisziplinärer Ansätze, u.a. den Gender, Queer, Postcolonial und Disabled Studies, verdeutlicht. Den Rahmen des Bandes bietet eine Bestandsaufnahme und Diskussion der Potentiale und Herausforderungen der Arbeit mit diesen Konzepten insbesondere im Kontext von Medienkulturen.